"Eins sag ich dir Finn, irgendwann erwürg ich ihn noch mal!"
Marguerite war stinksauer. Sie hatte sich - mal wieder - mit Roxton gestritten.
Danach hatte sie sich freiwillig gemeldet, mit Finn Früchte sammeln zu gehen.
Irgendwie musste sie sich ja ablenken.
"Nun bleib mal ganz locker" versuchte Finn Marguerite zu beruhigen. "So schlimm
war es doch auch nicht!"
"Nicht so schlimm?" rief Marguerite empört. "Sag mal zu wem hältst du
eigentlich?"
"Tut mir leid, aber manchmal übertreibst du schon ein wenig!" Finn zog den Kopf
ein. Aber irgendwer musste es ihr ja mal sagen.
"Er mag zwar gut kochen, aber er braucht mir nicht immer seine dreckige Wäsche
vor die Füße zu knallen. Außerdem ist er ja auch so ein Schmutzfink! Aber wir
sind hier nun mal nicht in London sondern im Jungel! Da gibt es keine
Bediensteten, die einem alles hinterher räumen. Und ich werde diesen Part
sowieso nicht übernehmen!" regte sie sich auf.
Finn seufzte. Es hatte wohl keinen Sinn, Marguerite umzustimmen, deswegen
schwieg sie einfach.
Eine ganze Weile später hatten die beiden Frauen vier Körbe mit Beeren gefüllt
und beschlossen, sich wieder auf den Heimweg zu machen.
"Ganz schön heiß, findest du nicht?" fragte Finn und stöhnte unter der Last der
schweren Körbe.
"Nein, ich finde eigentlich dass es angenehm kühl ist...natürlich ist es heiß!
Wir hätten mehr Wasser mitnehmen müssen!" klagte sie.
"Ich wollte ja, aber..." fing Finn an.
"Ja schon gut, ich weiß, ich bin schuld!" maulte Marguerite. Das war einfach
nicht ihr Tag heute.
Plötzlich entdeckten die beiden ein komisch aussehendes Häuschen am Wegrand.
"Das war aber vorher nicht da, als wir hergelaufen waren, oder?" fragte Finn
vorsichtig.
"Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern" antwortete Marguerite. "Egal, los komm
mit. Vielleicht gibt's da drin ja was zu trinken!"
"Marguerite warte doch mal" rief Finn und stiefelte hinter ihr her. "Es könnten
Gefahren lauern!"
"Ach komm schon Finn" lästerte Marguerite. "Was soll DA drin schon sein? Lass
uns einfach nachsehen und wenn nichts ist, können wir ja wieder gehen!"
Finn verdrehte die Augen, aber kam mit Marguerite. Sie war ja auch mindestens
genauso neugierig, was sich dort drin verbergen könnte.
Die Tür des Häuschens war nicht verschlossen. Marguerite drückte langsam die
Klinke herunter und öffnete die Tür einen Spalt. Im nächsten Moment wurde sie
von drinnen aufgerissen.
"Guten Tag, schöne Kinder, nur hereinspaziert!" rief eine alte Frau. "Nur keine
Angst, ich beiße nicht!"
Marguerite und Finn hatten sich furchtbar erschrocken und waren erst einmal ein
paar Schritte zurückgewichen. Die alte Frau aber amüsierte sich köstlich darüber
und machte eine einladende Geste.
"Mein Angebot steht noch!" meinte sie freundlich.
Marguerite und Finn sahen sich skeptisch an. Marguerite zuckte schließlich mit
den Schultern und ging durch die Tür, Finn stiefelte misstrauisch hinter ihr
her.
"Setzt euch doch" rief die Alte gut gelaunt und deutete auf einen Tisch am
Fenster. "Ich hole schnell etwas zu trinken!"
"Oh vielen Dank" seufzte Marguerite und setzte sich an den Tisch. "Wir haben
nämlich schrecklichen Durst!"
Die Alte summte ein Lied und verschwand in einem anderen Raum. Finn setzte sich
schließlich auch an den Tisch und sah Marguerite an.
"Ich habe ein ganz mieses Gefühl bei der Sache" meinte sie.
"Ach was" widersprach Marguerite. "Sie hat was zu Trinken für uns. Was soll
schon groß passieren. Sie ist eine alte Frau, die sich nach Gesellschaft sehnt,
nichts weiter."
"Und warum war das Haus auf dem Hinweg nicht da? Mir kommt das alles sehr faul
vor! Ich hab in einem von Challengers Märchenbüchern mal eine Geschichte
gelesen, wo eine alte Frau einen Jungen eingesperrt und gemästet hat, um ihn zu
essen. Sie wohnte auch in einem kleine Häuschen..."
"Du meinst Hänsel und Gretel?" fragte Marguerite verdutzt. Dann brach sie in
schallendes Gelächter aus. "Oh bitte Finn mach dich nicht lächerlich!"
"Ach und was ist wenn in dem Getränk dann irgendwas drin ist? Also ich werde
sicher nichts trinken!"
Im nächsten Moment kam die Alte wieder.
"Hier ich habe etwas, das wird euren Durst schnell löschen" verkündete sie und
stellte zwei Wasserflaschen auf den Tisch, vor jeden eine.
"Nein, danke, ich habe doch keinen Durst" meinte Finn nervös lächelnd. "Aber
Ihre Gastfreundlichkeit ist wirklich entzückend!"
"Gut, wenn du nicht möchtest, kann man dich ja nicht dazu zwingen!" antwortete
die Alte lächelnd.
Marguerite hingegen griff sofort nach der Flasche.
"Also ich für meinen Teil sterbe vor Durst. Vielen Dank für das Wasser!" sagte
sie, setzte an und trank einen großen Schluck.
Als Marguerite wieder absetzte, war ihr irgendwie komisch zumute. Irgendetwas
war nicht in Ordnung, und das Wasser in der Flasche begann plötzlich bläulich zu
schimmern.
Marguerite wollte etwas sagen, doch sie konnte nicht. Sie brachte einfach kein
Wort heraus.
Lachend riss ihr die alte Frau die Flasche aus der Hand und verschloss sie.
"Vielen Dank für deine Stimme, Liebes! Ich werde gut drauf aufpassen,
versprochen! Auf wiedersehen!"
Und plötzlich standen die beiden Frauen wieder im Jungel. Das Haus war weg, die
Alte auch, genauso wie Marguerites Stimme.
Sie versuchte immer wieder, einen Laut zu erzeugen, aber es funktionierte
einfach nicht, sosehr sie sich auch anstrengte. Verzweifelt sah sie Finn an.
"Ich wusste doch, dass da was faul ist!" sagte sie nur. "Jetzt haben wir wohl
ein Problem!"
Marguerite sah nur zu Boden.
"Hey, jetzt mal Kopf hoch" sagte Finn sanfter. "Wir werden schon irgendwie
hinter diesen Spuk kommen. Ich würde vorschlagen, wir gehen jetzt erst einmal
wieder zurück zum Baumhaus und dann sehen wir weiter, ok?"
Marguerite nickte und somit machten sich die beiden langsam auf den Weg zurück.
***
Finn sprach auf dem ganzen Rückweg kein einziges Wort mehr. Sie wusste ja auch
nicht, was noch zu sagen war. Marguerite hatte Unrecht gehabt und nicht auf
Finns Zweifel Rücksicht genommen. Nun hatte sie dafür bezahlt - mit ihrer
Stimme.
Marguerite sah auch nicht so aus, als wollte sie angesprochen werden. Sie lief
gedankenverloren einfach den Pfad entlang. In ihrem Blick lag Schmerz und Wut -
über sich selbst.
Es musste ja so weit kommen. Dieser Tag hatte schon schlecht begonnen.
Marguerite war am Morgen aufgestanden und über einen Stuhl gestolpert, der
mitten im Raum stand und nicht in der Ecke, wo er hingehörte. Sie hätte sich
sehr weh getan, wenn sie sich nicht in letzter Sekunde an ihrer Kommode
festgehalten hätte.
Dann war kein Frühstück mehr übrig, denn die anderen hatten nicht auf sie
gewartet, weil sie so spät aufgestanden war. Sie versuchte, sich selbst etwas zu
machen, doch scheiterte wie immer kläglich daran. Sie aß dann schließlich zwei
Äpfel.
Dann kam Roxton zu ihr und bat sie, seine Socken zu stopfen, was sie schließlich
zur Weißglut brachte. Er kam mit einem riesigen Korb voller löchriger Socken
daher und meinte so nebenbei, wenn sie doch mal Zeit hätte, könne sie das
machen.
Das war zuviel. Marguerite beschimpfte ihn übel, dass sie nicht seine Putzfrau
sei und ging in den Garten um sich etwas abzureagieren. Sie fand Finn vor, die
Früchte sammeln gehen wollte und entschloss sich spontan, mitzukommen. Sie
musste weg vom Baumhaus - auch wenn es nur für eine kurze Weile war.
Und dann ereignete sich die Sache mit diesem komischen Häuschen und der alten
Frau. Marguerite kam es so vor, als wäre es das Tüpfelchen auf dem i, gerade das
hatte ihr noch gefehlt. Nun war der Tag war perfekt.
Marguerite fragte sich nur, ob sie jemals wieder sprechen könnte, denn die Alte
war ja auf nimmer wiedersehen verschwunden.
***
"Ich weiß nicht, George aber irgendwie ist Marguerite heute schlecht
aufgelegt...woran das nur liegt?" fragte Roxton, der Challenger bei einem seiner
Experimente half.
"Keine Ahnung, vielleicht ist sie nur mit dem falschen Fuß aufgestanden, kann
doch sein" antwortete der Wissenschaftler. "Jeder hat mal so einen Tag."
"Ja aber sie ist heute Vormittag richtig ausgeflippt, als ich sie gebeten habe,
bei Gelegenheit meine Socken zu stopfen" erzählte Roxton.
"Du hast was?" rief Challenger. "Bist du noch ganz bei Trost?"
"Wieso, sie sitzt doch den ganzen Tag nur da und liest irgendwas...wenn sie
nicht irgendwelche Edelsteine begutachtet!"
"Lass sie doch" meinte Challenger. "Ich wollte auch mal, dass sie etwas im
Haushalt für mich tut, und da ist sie auch so ausgerastet, sagte, sie sei nicht
das Dienstmädchen und besseres gewohnt...also ich würde aufpassen. Sie führt
sich ja schon immer so auf, wenn sie mal mit Waschen dran ist!"
"Wem sagst du das" seufzte Roxton. "Dann werde ich wohl Veronica fragen müssen.
Zu Marguerite sage ich jedenfalls keinen Ton mehr dergleichen...aprospros...wo
ist sie überhaupt? Ich habe sie schon seit heute Vormittag nicht gesehen!"
Challenger zuckte nur mit den Schultern. Doch im nächsten Moment kam schon
Veronica ins Labor.
"Sie ist mit Finn zusammen Früchte sammeln. Man, hatte die eine Laune! Was hast
du nur wieder getan, Roxton?" wollte sie wissen.
"Wieso bin ich eigentlich immer der Böse?" maulte dieser. "Wenn sie mal einen
schlechten Tag hat, kann ich nichts dafür! Ach ja und Veronica ich hätte da eine
Bitte!"
"Ja, schieß los!"
"Könntest du diese Socken bitte für mich stopfen?"
"Aha, jetzt weiß ich warum Marguerite so sauer war" stellte sie fest, nahm ihm
den Korb aus der Hand und verließ das Labor.
Challenger lachte sich ins Fäustchen, fing sich aber einen warnenden Blick von
Roxtons Seite ein.
***
"Also ich muss schon sagen Roxton, was tust du nur immer mit deinen Socken!"
seufzte Veronica, als sie ihn aus Challengers Labor kommen sah. "Die bestehen ja
schon mehr aus Löchern als aus Socke!"
"Tja, ein harter Arbeitstag hat nun mal so seine Folgen" meinte er
entschuldigend. "Aber dafür koche ich jetzt was schönes, und ich werd mir Mühe
geben!"
"Hmmm....lecker! Da freu ich mich schon!" rief Veronica und machte an einer
Socke weiter.
Im nächsten Moment betätigte sich der Fahrstuhl. Roxton, der gerade Gemüse für
das Essen aus der Vorratskammer geholt hatte, zog eine Braue hoch.
"Oh, das müssen Marguerite und Finn sein! Lass Marguerite bloß nicht die Socken
sehen!" witzelte er.
"Ich finde, du solltest sie für heute nicht mehr ärgern, nur ein kleiner Tipp am
Rande" riet Veronica.
Roxton wollte schon etwas sagen, aber der Fahrstuhl war nun oben angekommen. Und
wie erwartet traten Finn und Marguerite heraus.
Beide waren sehr stumm und sagten erst mal nichts, nur Finn brachte ein kurzes "hi" heraus und setzte sich zu Veronica an den Tisch. Marguerite ging auf den Balkon
und sah hinaus in den Jungel.
Roxton konnte einfach nicht anders und ging hinter ihr her. Er stelle sich neben
sie und sah ebenfalls hinaus.
"Und ward ihr erfolgreich?" wollte er wissen. Doch Marguerite sagte nichts.
"Hey es war nicht so gemeint von heute morgen, du musst auch nie wieder was für
mich tun, aber mit mir reden kannst du schon wieder!" versuchte er es weiter,
doch blieb auch dieses Mal erfolglos.
Marguerite atmete tief ein und aus. So, als ob sie sich zusammennehmen wollte,
nicht loszuweinen. In ihren Augen sammelten sich schon die Tränen.
"Marguerite was..." wollte er wissen und lehnte sich zu ihr hinüber.
Doch sie drehte sich um und ging weg. Sie verließ den Hauptraum und rannte
schnurstracks in ihr Zimmer.
Roxton stand wie versteinert auf dem Balkon. War er an allem schuld? Aber
irgendwie passte es nicht zu Marguerite, einfach zu schweigen und davonzulaufen.
Eigentlich hätte sie ihn anschreien oder einen dummen Kommentar in sein Gesicht
sagen sollen. Aber nicht so was.
Verdutzt sah er zum Tisch, an dem Veronica und Finn saßen. Veronica sah genauso
verdutzt aus wie er, nur Finn schien nicht sonderlich überrascht zu sein.
"Ich glaube ich muss dir was sagen Roxton...und dir auch Veronica. Und am besten
wäre es, wenn Challenger auch kommen würde" meinte Finn.
"Was?" fragte Roxton verdutzt. "Ist irgendetwas geschehen auf eurem Ausflug?"
"Das kannst du laut sagen" bestätigte Finn.
"Und was? Und wieso sollen wir Marguerite nicht mit dazuholen? Vielleicht will
sie auch etwas dazu sagen?" fragte Veronica.
"Das ist ja gerade der Punkt. Sie wird es nicht können" meinte Finn. Veronica
und Roxton starrten Finn verständnislos an.
"Ich erklär es gleich, holt nur erst noch George her, ja?" bat sie.
"Ja gut, wie du meinst" antwortete Roxton und machte sich auf den Weg ins Labor
des Wissenschaftlers.
***
Als Finn ihre Geschichte den anderen drei Bewohnern des Baumhauses erzählt
hatte, saßen die nur mit offenem Mund da. Challenger fand als erster die Sprache
wieder.
"Das wird gar nicht so leicht, eine Spur zu finden...fast schon unmöglich!" seufzte er.
"Aber wir können sie doch nicht einfach so im Stich lassen" warf Roxton ein.
"Ich jedenfalls würde es schlimm finden, nicht mehr sprechen zu können!"
"Ich sagte ja auch nicht, dass wir nicht versuchen werden, ihr zu helfen. Ich
werde sie mal untersuchen...nun...morgen vielleicht. Hoffentlich geht es ihr
dann etwas besser" meinte er. "Und dann werden wir wohl mal anfangen zu
suchen...am Ort des Geschehens am besten. Dort, wo ihr das Häuschen gesehen
habt!"
"Ja so wird es am besten sein" stimmte Veronica zu und Finn nickte nur.
Roxton seufzte. "Nun, meinetwegen. Jetzt wird es sowieso bald dunkel."
***
Roxton hatte keine Lust mehr, etwas zu kochen. Die anderen verstanden das und
machten sich nur Kleinigkeiten zu essen. Roxton selbst konnte gar nichts essen.
Er machte sich viel zu große Sorgen um Marguerite. Sie musste sich vorhin auf
dem Balkon wirklich richtig fehl am Platz gefühlt haben.
Er wollte es so gern wieder gut machen und sich bei ihr entschuldigen. Wenn sich
mit sich reden ließ. Wenn sie ihm zuhörte. Aber versuchen wollte er es auf jeden
Fall.
Er stand auf und ging in die Richtung, in der ihr Zimmer lag. Davor blieb er
kurz stehen und atmete tief durch. Er wollte noch einmal überlegen, was er ihr
sagen wolle, wie er sich entschuldigen wollte.
Doch plötzlich würde die Tür von innen aufgerissen. Marguerite sah ihn mit einem
Gesichtsausdruck an der sagte: `hab ich's doch gewusst!` Sie hatte ihn wohl
gehört.
Sie presste ihre Lippen aufeinander und sah zur Seite weg.
"Marguerite bitte, darf...darf ich reinkommen?" fragte Roxton vorsichtig.
Sie atmete tief durch und ging schließlich zu ihrem Schreibtisch und setzte sich
auf einen Stuhl. Die Tür hatte sie offen gelassen und Roxton nahm an, dass er
bleiben durfte. Ein erster Erfolg.
Roxton ging langsam durch die Tür und schloss sie von innen. Er wusste immer
noch nicht richtig, wie er sich jetzt verhalten sollte, aber dass sie ihn nicht
hochkant rausgeworfen hatte, ermutigte ihn.
Er setzte sich auf einen anderen Stuhl, nicht weit entfernt und sah sie an.
Marguerite saß da und schrieb etwas auf einen Zettel. Neugierig reckte Roxton
den Hals.
"Was machst du denn da?" wollte er wissen.
Sie gab ihm den Zettel, dass er lesen konnte, was darauf stand.
`Was willst du?` hatte sie geschrieben.
"Eine tolle Idee" rief Roxton erfreut. "So kannst du mitteilen, was du
möchtest!"
Marguerite sah ihn nur genervt an. Sie wartete auf eine Antwort auf ihre Frage.
"Schon gut ich...äh...ich wollte nur wissen, warum du vorhin so mir nichts dir
nichts weggelaufen bist...ist alles in Ordnung?"
Marguerite griff wieder zu Stift und Papier. Einen Moment später hatte Roxton
die nächste Nachricht.
`Was denkst du denn? Ich kann nicht mehr sprechen, weil ich leichtsinnig war.
Wie würde es dir da gehen?`
"Mir würde es wahrscheinlich genauso gehen wie dir...aber das beantwortet immer
noch nicht die Frage, warum du so einfach weggelaufen bist!"
Und wieder schrieb Marguerite.
`Weil ihr alle furchtbar enttäuscht von mir seid, weil ich euch nun wieder in
ein neues Abenteuer stürze, das vielleicht unser letztes sein kann.` war diesmal
auf dem Zettel zu lesen.
"So ein Unsinn, niemand ist dir deswegen böse!" widersprach Roxton heftig.
Marguerite zog nur die Augenbraue hoch.
"Ich sage die Wahrheit. Wir haben vorhin beredet, was zu tun ist. George möchte
dich morgen untersuchen, danach werden wir alle zu der Stelle gehen, an der du
deine Stimme verloren hast. Ich wollte dich auch dazuholen, aber die anderen
meinten, es sei besser, wenn du allein bist...was ich allerdings gar nicht
finde!"
Sie sah nur erstaunt auf. Er sah sie ernst an. Er meinte es ernst. Marguerite
schüttelte nur den Kopf und sah wieder nach unten. Aber zum Stift griff sie
nicht mehr. Stattdessen fuhr sie mit ihrer Hand immer wieder über ihren Nacken.
Roxton stand plötzlich auf und lief zu ihr hinüber. Sie sah erschrocken hoch und
wollte auch aufstehen, doch er hinderte sie daran, indem er sie an den Schultern
leicht wieder hinunter drückte.
"Nein, bleib bitte sitzen" sagte er sanft und fuhr mit seinen Händen ihren
Nacken entlang. Sie hatte sich heute die dichten Haare zu einem Zopf geflochten,
darum kam er überall gut hin.
Er musste nicht lange suchen, bis er die Verspannung fand. Sie saß knapp unter
ihrem Haaransatz und zog sich bis hinunter zu ihren Schulterblättern, die
allerdings noch von ihrer Bluse verdeckt waren.
"Du bist ja ganz verspannt" sprach er weiter, und als sie sich nicht wehrte,
begann er langsam, ihre Verspannung wegzumassieren.
***
Marguerite war wie in Trance. Seine Hände leisteten Meisterarbeit, es tat so
gut. Sie fragte sich, wo er das nur gelernt hatte, diese Eigenschaft kannte sie
noch gar nicht von ihm. Irgendwann, nahm sie sich vor, würde sie ihn nochmal
danach fragen...wenn sie je wieder sprechen können würde!
Aber dieses Problem rückte nun in weite Ferne. Sie schloss die Augen und
konzentrierte sich nur auf seine sanften, aber dennoch wirkungsvollen
Bewegungen.
Marguerite hatte schon länger an Rückenschmerzen gelitten, da sie nachts oft
schlecht schlief und auch irgendwie falsch im Bett lag. Wenn sie gewusst hätte,
dass Roxton so gut massieren konnte, wäre sie schon früher zu ihm gekommen.
Nach einiger Zeit war Roxton fertig und nahm seine Hände wieder von Marguerites
Nacken. Sie schlug die Augen auf und sah ihn erstaunt an.
"Jetzt müsste es eigentlich wieder besser sein...oder?" fragte er.
Marguerite musste erst einmal wieder in die Realität zurückkehren, bevor sie
langsam nickte und ein lautloses `danke` sprach.
Roxton lächelte. "War doch gern geschehen. Wenn du mal wieder Beschwerden hast,
kannst du gerne zu mir kommen."
Marguerite wurde etwas rot und nickte nur leicht.
Nun saß Marguerite auf ihrem Stuhl und Roxton stand immer noch hinter ihr. Beide
wussten nicht, was sie tun sollten, was nun passieren würde. Irgendwann wurde
die peinliche Stille genug für Marguerite und sie griff wieder zu Papier und
Stift.
`Danke sehr John, die Massage war wirklich klasse, aber ich denke wir sollten
jetzt doch schlafen gehen, morgen wird ein langer Tag werden` hatte sie
geschrieben.
"Ja finde ich auch. In welchem Bett soll ich denn schlafen? In meinem oder in
deinem?" fragte er schelmisch, nachdem er ihr Geschriebenes gelesen hatte.
Marguerite sah ihn nur kurz genervt an. Roxton grinste breit.
"Schon gut, ich verlasse euch nun, Milady...aber wenn du noch was brauchst..."
Marguerite nickte nur und machte eine Wischbewegung mit ihrer Hand. Roxton
seufzte. Das war ein eindeutiges Zeichen. Er verbeugte sich noch einmal leicht,
wünschte ihr eine gute Nacht und verließ dann ihr Zimmer.
***
Marguerite konnte aber immer noch nicht schlafen. Nicht wegen den
Rückenschmerzen - die war sie ja jetzt los - sondern wegen ihren Gedanken.
Einerseits war sie todtraurig. Sie hatte ihre Stimme verloren, weil sie
unvorsichtig gewesen war und auf niemanden hören wollte.
Aber irgendwie konnte sie bei diesem Gedanken nie lange bleiben. Sie driftete
immer wieder ab, sah und vor allem fühlte auch immer nur John, seine Hände, die
sanfte Massage.
Aber wieso machte er das? Sie hatte ihn an diesem Tag übel beschimpft, war
zickig und unfreundlich zu ihm...und dann kommt er einfach her und verwöhnt sie
so? Marguerite konnte sich die Gesten und Worte dieses Mannes ihr gegenüber
einfach nicht erklären. Eigentlich sollte er sie hassen und meiden. Aber das
genaue Gegenteil war der Fall.
Irgendwann gelang es Marguerite aber doch noch, einzuschlafen. Sie war einfach
zu müde und Zeit zum nachdenken würde sie immer noch genug haben.
***
Am nächsten Morgen wachte Marguerite vor allen anderen auf. Sie selbst war davon
sehr überrascht, denn sonst schlief sie immer sehr lange, was daran lag, dass
sie nachts nicht genug Schlaf bekam. Aber vielleicht war es ja auch die
Aufregung, die sie so früh wachmachte.
Es war gerade mal sechs Uhr, als sie aufstand und sich anzog. Sie ging
schnurstracks in die Küche und brühte frischen Kaffee auf - die einzige
Zubereitung in der Küche, die sie beherrschte. Der frische Kaffeeduft entlockte
ihr ein Lächeln und als der Kaffee fertig war, nahm sie sich einen großen
Schluck aus einer Tasse.
Die anderen wurden von dem Duft ebenfalls geweckt und trudelten alle
nacheinander in der Küche ein.
"Mmmm...was riecht denn da so verführerisch?" fragte Veronica und schenkte sich
auch eine Tasse ein. "Geht's dir wieder besser?"
Marguerite nickte kurz und lächelte ein wenig.
"Schön. Wir haben nämlich heute eine Menge vor. Challenger will dich mal ansehen
und dann machen wir uns alle auf den Weg und sehen uns die Stelle mal an, an
der..."
Marguerite unterbrach sie, indem sie heftig nickte und Wischbewegungen mit ihrer
Hand machte.
"Du weißt davon?" fragte Veronica. "Woher denn?"
Marguerite deutete Richtung Fahrstuhl. Roxton lief gerade daran vorbei und war
höchstwahrscheinlich auf dem Weg in die Küche.
"Aha deshalb" grinste Veronica.
"Guten Morgen ihr beiden, ist irgendwas mit mir?" fragte Roxton, als er bei den
beiden Frauen angekommen war.
"Ja, ich hab mich nur gewundert, woher Marguerite von unseren heutigen Plänen
wusste, aber das ist ja geklärt" meinte sie.
"Ja...ich werde uns Frühstück machen, was haltet ihr davon?" fragte er.
"Spitze, ich werde den Tisch decken und die anderen holen!" freute sich
Veronica.
***
Nach dem Frühstück bat Challenger Marguerite mit in sein Labor.
Er untersuchte ihren Rachen und checkte sie von Kopf bis Fuß durch, fand aber
aus medizinischer Sicht keine Unauffälligkeiten.
"Also ich würde sagen, es ist Magie im Spiel" meinte er. "Du bist kerngesund,
die Stimmbänder sind intakt, alles müsste einwandfrei funktionieren...also war
die alte Frau wohl doch eine Hexe."
Marguerite zuckte nur mit den Schultern.
"Nun gut, wir werden gleich aufbrechen und mal den Ort des Geschehens unter die
Lupe nehmen. Was anderes können wir im Moment sowieso nicht tun."
Marguerite nickte und somit gingen beide nach draußen, um die letzten
Vorbereitungen für ihren Ausflug zu treffen.
***
Als die Freunde an der Stelle ankamen, an der das Häuschen gestanden hatte,
suchten sie das Gebiet darum gründlich ab. Doch wie erwartet fanden sie nichts.
Nichts deutete darauf hin, dass hier jemals eine Hütte war.
Marguerite hatte zwar schon damit gerechnet, war aber trotzdem etwas enttäuscht.
Sie hatte bis zuletzt gehofft, doch noch ein Zeichen zu finden. Aber es sollte
anscheinend nicht so sein.
"Tja...ich weiß nicht, was wir noch tun sollen" seufzte Challenger. "Es tut mir
wirklich leid, Marguerite, aber ich weiß auch nicht mehr weiter."
Marguerite nickte und zuckte nur mit den Schultern.
"Wir werden wohl wieder zurück müssen" meinte nun auch Veronica und sah
Marguerite voller Mitleid an. Diese musste schwer mit sich kämpfen, dass sie
nicht zu weinen begann. Sie würde nie wieder sprechen können. Nie wieder würde
sie einen Ton sagen können.
Schließlich machten sich alle wieder auf den Weg zurück zum Baumhaus. Marguerite
lief langsam hinter den anderen her. Sie grübelte immer noch, wie es nun
weitergehen sollte.
Roxton bemerkte es und wurde absichtlich langsamer, bis er neben ihr lief.
"Hey" sagte er sanft.
Marguerite sah zu ihm rüber und lächelte ihn kurz an. Doch ihr Lächeln war
aufgesetzt, das sah er sofort.
"Es wird sehr schwer für dich werden Marguerite" meinte er. "Aber was immer
kommen wird, ich werde zu dir halten. Wir alle werden das tun!"
Marguerite verfluchte ihn. Warum musste er ihr das jetzt sagen? Sie war wieder
kurz davor, loszuheulen. Er bemerkte auch das und nahm ihre Hand.
"Schon o.k., wenn du es nicht hören willst, dann werde ich still sein. Ich will
nur, dass du weißt, dass du nicht allein damit dastehst."
Sie nickte und löste ihre Hand aus seiner. Wenn er sie noch länger festgehalten
hätte, hätte sie wirklich noch angefangen zu weinen.
***
Nachdem sie ein wenig gelaufen waren, begann es plötzlich heftig zu donnern und
zu regnen. Das Gewitter breitete sich schnell aus und zwang die Freunde, sich
einen Unterschlupf zu suchen.
"Schaut dort drüben!" rief Finn und deutete auf eine Höhle. "Dort können wir
rein!"
"Aber...das ist doch die Höhle, in der Marguerite und ich damals in dieses
englische Dorf gekommen sind!" rief Roxton.
"Aber das darf doch gar nicht sein! Die Höhle öffnet sich nur einmal im Jahr.
Das letzte Mal, als wir nachschauen wollten, was dort ist, war bei der
Geschichte mit dem Zerstörer, und das ist noch kein halbes Jahr her!" rief
Challenger.
"Ist doch egal, gehen wir rein, bevor wir noch nasser werden" meinte Veronica
und lief los, alle anderen hinter ihr her.
In der Höhle war es stockdunkel, wie es die Freunde schon von ihren letzten
Abenteuern dort gewohnt waren.
"Sollen wir wirklich weiter rein gehen?" fragte Finn. Sie hatte ein wenig angst,
weil niemand wusste, was sie diesmal am anderen Ende erwarten würden.
"Natürlich, also ich möchte das auf jeden Fall" meinte Challenger. "Ich möchte
herausfinden, ob wir tatsächlich wieder irgendwo rauskommen. Wenn ja, dann würde
ich gerne wissen, warum."
"Also gut gehen wir" sagte Roxton und nahm Marguerite an der Hand.
Und tatsächlich...je weiter sie in die Höhle hineinliefen, desto heller wurde
es, bis sie schließlich wieder im Freien standen - bei strahlendem Sonnenschein.
"Tatsächlich!" rief Challenger verblüfft. "Die Höhle ist tatsächlich wieder auf!
Und dort oben ist ja auch der Kristall!" Er deutete auf die gegenüberliegende
Seite des Tals. Dort, hoch oben auf einem Berg stand der Kristall, der für die
Verbindung der zwei Welten verantwortlich war.
"Seht und dort unten ist sogar eine kleine Stadt!" sprach Finn. Sie deutete in
das Tal hinab, in dem lauter kleine Holzhütten standen.
"Ja und es ist nicht das englische Dorf, das sah nämlich anders aus" stellte
Roxton fest.
"Ich würde sagen, wir gehen mal dort runter und sehen, wo wir gelandet sind" meinte Veronica. Alle nickten und machten sich auf den Weg nach unten.
***
Die Stadt war wie ausgestorben. Keine Menschenseele war zu sehen, nur
verriegelte Häuser, um die der Wind pfiff.
"Glaubt ihr, dass irgendjemand hier noch lebt?" fragte Finn und sah sich um.
"Sieht sehr verlassen aus."
"Entweder das oder die Bewohner haben vor irgendetwas Angst" folgerte Veronica.
Sie blieben auf einem Platz in der Stadtmitte stehen.
"Was tun wir jetzt?" wollte Roxton wissen. "Irgendwo klopfen?"
"Ja und vielleicht kommen dann ein Dutzend Kerle raus, die uns willkommen
heißen, indem sie uns umbringen?" meinte Finn mit hochgezogener Braue.
"Das glaube ich weniger" meinte Challenger. "Wenn sie uns töten wollten, hätten
sie das schon längst getan. Ich würde sagen, wir gehen mal zum
Bürgermeister...seht ihr, dort hinten ist das Rathaus!"
Eines der Häuser am Platz war größer und geschmückter als die anderen. Es stand
direkt neben der Kirche und es war ein Schild angebracht, auf dem `Rathaus`
stand.
"Ich weiß nicht George!" Finn war immer noch skeptisch. Das ganze erinnerte sie
zu sehr an die Zukunft, aus der sie kam.
"Ich denke er hat recht Finn. Versuchen müssen wir es" meinte Roxton.
Auch Marguerite nickte zustimmend, und so gingen die fünf Freunde auf das
verrammelte Haus zu.
"Also wenn hier tatsächlich noch jemand lebt, muss er große Angst haben. Und ich
würde alles daran geben, möglichst schnell zu erfahren was das ist" sagte
Veronica und betrachtete misstrauisch die zugenagelten Fenster.
"Ja du hast recht" antwortete Roxton, der wieder Marguerites Hand genommen
hatte. "Wenn es hier eine Bedrohung gibt, sind auch wir in Gefahr."
Plötzlich flog die Tür des Rathauses auf und eine ältere Hausdame fuchtelte
heftig mit der Hand, sie sollten hereinkommen. Sie sprach kein Wort, sondern
drängte nur mit Zeichensprache darauf, sie sollten so schnell wie möglich ins
Haus.
Die Abenteurer folgten ihrer Aufforderung und traten geschwind durch die Tür.
Die Frau schloss die Tür sofort wieder, legte sämtliche Riegel um und schob ein
schweres Regal davor. Als das alles vollbracht war, atmete sie erleichtert auf.
"Guten Tag, Madam, mein Name ist George Challenger, das hier sind Finn,
Veronica, Roxton und Marguerite. Wir dachten ja zuerst, es würde hier niemand
leben, aber wie es sich herausgestellt hat, ja anscheinend doch. Wie ist denn
ihr Name?"
Die Frau legte tippte sich nur an die Lippen und schüttelte mit dem Kopf.
"Dürfen wir nichts reden?" wollte Challenger weiter wissen.
Die Frau schüttelte abermals mit dem Kopf, machte den Mund auf und zeigte mit
dem Finger hinein. Danach machte sie eine Wischbewegung mit ihrer Hand.
"Sie können nicht sprechen?" fragte Roxton und sah Marguerite an. Diese war
genauso überrascht wie alle anderen.
Die Frau schüttelte mit dem Kopf.
"Konnten Sie es einmal?" fragte Finn weiter.
Die Frau nickte und machte eine Handbewegung, die Freunde sollten ihr folgen.
Es ging durch einen langen, dunklen Flur, dann die Treppe hinauf bis vor eine
verschlossene Tür. Die Frau klopfte dreimal und öffnete die Tür.
Im Raum saß ein Mann mittleren Alters in seinem Arbeitsstuhl an seinem
Schreibtisch. Es war offensichtlich, dass er der Bürgermeister war.
"Bitte tretet ein" sagte er freundlich und wies auf ein paar Stühle, die vor dem
Schreibtisch standen. "Bitte setzt euch doch. Es tut mir leid, dass wir euch so
empfangen, aber wir haben unsere Gründe."
"Dürfen wir diese Gründe erfahren?" wollte Roxton wissen.
"Sicher, und es soll euch auch eine Warnung sein, wenn ihr nicht eure Stimme
verlieren wollt."
"Unsere Stimme verlieren? Heißt das, dass das hier schon öfter passiert ist?" fragte Challenger.
"Ja. Sehr oft. Fast die ganze Stadt ist stumm, nur einige wenige können noch
sprechen - eingeschlossen mir, aber wer weiß, wie lange das noch so bleibt"
seufzte der Bürgermeister.
"Unserer Freundin ist das selbe geschehen" sagte Finn aufgeregt. "Wir liefen
gemeinsam durch den Wald und plötzlich stand dort ein Haus mit einer alten Frau.
Marguerite wollte unbedingt was trinken und so verlor sie ihre Stimme!"
Marguerite nickte nur in das entsetzte Gesicht des Bürgermeisters.
"Oh mein Gott" sagte er nur geschockt. "Wo ist das passiert? Seid ihr nicht aus
der anderen Welt, jedenfalls haben mir das meine Wachleute berichtet."
"Ja tatsächlich. Und es passierte drüben. Nur durch Zufall sind wir an der Höhle
vorbeigelaufen und haben bemerkt, dass es wieder einen Durchgang
gibt...allerdings dürfte das höchstens wieder in einem halben Jahr sein!" rief
Challenger.
"Ja ihr habt recht, diese alte Hexe! Sie manipuliert alles! Verdammt!" fluchte
der Bürgermeister verzweifelt.
"Sie kennen diese alte Frau?" fragte Finn.
"Na ja persönlich nicht, von Erzählungen her eher...aber lasst mich bitte von
vorn erzählen" meinte er, worauf alle nickten.
"Ich kenne das Ganze nur aus Geschichten und Erzählungen, also wenn etwas nicht
stimmen sollte, am Schluss, dann kann ich nichts dafür! Es begann alles vor
vielen, vielen Jahren. Ein kleines Mädchen lebte damals im Haus ihrer Eltern,
die sich aber nicht besonders um sie kümmerten. Besonders hübsch war sie auch
nicht. In der Schule lachte man sie immer nur aus und sie hatte nie Freunde.
Nach außen hin zog sie immer den Kopf ein, aber tief in ihr drin brodelte es.
Sie schwor, sich an allen zu rächen, die sie ausgelacht und verspottet hatten.
Sie lief eines Tages von zu Hause weg, in den Wald. Dort traf sie auf eine böse
Zauberin, die sie als Schülerin bei sich aufnahm und ihr all ihr Wissen
übermittelte. Als die alte Zauberin starb, hatte das Mädchen - mittlerweile eine
junge Frau - genug Wissen, um ihre Racheschwüre wahr zu machen. Sie zog sich in
die Berge zurück, hoch hinauf, wo sie niemand finden würde. Von dort aus
zauberte sie sich immer in die Stadt und raubte den Menschen dort etwas, das
sehr wertvoll war - ihre Stimmen. Nun ist sie eine alte Frau und man könnte
glauben, sie hätte bald genug davon. Hier in der Stadt gibt es ja fast keine
Stimmen mehr zum stehlen. Aber wie es aussieht, hat sie das magische Tor
geöffnet, um in anderen Welten nach noch mehr Stimmen zu suchen."
"Das heißt, sie hat das Tor geöffnet und ist mit Hilfe ihrer Zauberkraft
hindurch, um in unserer Welt noch mehr Stimmen zu stehlen?" fragte Veronica.
"So sieht es aus" bestätigte der Bürgermeister.
"Aber eines verstehe ich nicht ganz" meinte Challenger. "Warum ausgerechnet die
Stimmen?"
"Sie meint, das ist eines der Mittel, mit dem man die Leute am meisten kränken
kann. Sie wurde sehr verletzt als kleines Mädchen, und schwor sich ewige Rache."
"Und sie lebt immer noch oben in den Bergen?" wollte Roxton wieder wissen.
"Ja, den Erzählungen nach schon. Aber es sind eben nur Erzählungen" gab der
Bürgermeister zu bedenken.
"Egal wir müssen dem nachgehen" meinte Finn. "Am besten gleich morgen früh."
"Was? Das ist nicht euer Ernst!" rief der Bürgermeister entsetzt.
"Doch unser voller Ernst. Marguerite hat ihre Stimme auch verloren, und wir -
und sie selbst ganz sicher auch - können das einfach nicht hinnehmen. Wir müssen
ihre Stimme wiederholen, und gleichzeitig alle Stimmen von den Leuten aus der
Stadt auch noch" beharrte Roxton.
"Gut, wenn ihr unbedingt wollt" gab sich der Bürgermeister geschlagen. "Aber
wartet auf jeden Fall bis morgen, ich werde gleich morgen früh eine
Krisensitzung einberufen."
"Ja werden wir, vielleicht wollen ja noch ein paar Leute aus der Stadt
mitkommen" sagte Challenger.
"Gut, so machen wir es. Ihr könnt hier im Haus übernachten. Ich habe eine
Pension mit eingebaut, da kommt ihr alle unter. Einen geruhsamen Abend noch!"
wünschte der Bürgermeister und machte seine Arbeit weiter, während die anderen
sein Büro wieder verließen.
***
Challenger bestand darauf, ein Einzelzimmer zu bekommen. Er wollte noch bis spät
in die Nacht grübeln und lesen und wollte niemand von seinem Schlaf abbringen.
Finn und Veronica verzogen sich gemeinsam in ein Zimmer und so blieben
Marguerite und Roxton noch als einzige übrig.
Marguerite fragte sich, ob es Absicht von den beiden anderen Frauen war, dass
sie sich so schnell wie möglich in eines der Doppelzimmer zurückzogen. Dass sie
deshalb ein Zimmer mit Roxton teilen musste.
"Möchtest du lieber mit Finn oder Veronica ein Zimmer haben?" fragte Roxton
vorsichtig und riss Marguerite dadurch aus ihren Gedanken. Er sah sie sanft aber
auch etwas ängstlich an. Er würde sicher tauschen, wenn sie es unbedingt wollte.
Aber lieber würde er mit ihr im Zimmer bleiben.
Marguerite schüttelte den Kopf und betrat das Zimmer. Was sollte schon
passieren? Was sollte schon sein, sie würden einfach nur die Nacht nebeneinander
liegen und schlafen. Das hatten sie schon so oft gemacht. Reine Routine.
Roxton folgte Marguerite und machte die Tür zu.
"Wir werden deine Stimme schon wieder zurückbekommen" sagte er sanft und setzte
sich neben sie auf das Bett. Es war nicht wirklich bequem, etwas hart, aber für
eine Nacht würde es ausreichen.
Marguerite nickte nur langsam und begann, nervös mit ihren Fingern zu spielen.
Sie verknotete sie immer wieder. Roxton wusste, dass sie kurz davor war,
loszuheulen.
"Wieso lässt du es nicht raus Marguerite?" fragte er. "Ich bin der letzte
Mensch, vor dem du deine Gefühle verstecken musst."
Marguerite sah ihn nun doch erschrocken an. Er lächelte nicht, aber sein Blick
brachte einem zum Schmelzen. Marguerite begann zu zittern und stand auf. Sie
ging schnurstracks Richtung Tür.
"Bitte Marguerite so war es doch nicht gemeint" rief er hinter ihr her und stand
auch auf. "Bitte du musst nichts tun was du nicht willst...aber bitte bleib
hier."
Marguerite hatte schon den Türgriff in der Hand. Doch sie drückte ihn nicht
herunter. Wie angewurzelt blieb sie stehen und rührte sich nicht, sondern
starrte nur auf die geschlossene Tür.
Was sollte sie tun? Wenn sie jetzt hier blieb, dann würde sie ihm heute Nacht
das Hemd voll heulen. Sie würde nie im Leben so stark sein können, wenn er
direkt neben ihr lag. Aber was wäre wenn sie jetzt rüber ging zu Finn und
Veronica und bat, dass sie tauschen sollten? Dass eine bei Roxton schlafen
sollte? Sie würden sie wahrscheinlich für verrückt oder so etwas halten.
Und nun stand auch noch Roxton hinter ihr. Er nahm ganz vorsichtig ihre Hand von
der Klinke und hielt sie fest. Marguerite hinderte ihn nicht daran, sondern sah
ihn einfach nur an. Dabei floss eine einzelne Träne ihre Wangen hinab, die er
ganz zärtlich wegwischte.
Das war zuviel. Jetzt war Marguerite alles egal. Sie weinte los und ließ sich
von ihm in die Arme ziehen und sich festhalten. Sie selbst klammerte sich auch
fest an ihn.
Er sagte nichts mehr, sondern wiegte sie nur leicht in seinen Armen. Das hatte
sie gebraucht, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte. Roxton fragte sich,
warum sie nur immer so stur sein musste und alles fernhielt, was gut für sie
war.
Langsam nahm er sie auf seine starken Arme und trug sie zum Bett, wo er sie
sanft ablegte, ihre Schuhe auszog und sich ebenfalls dazulegte. Er deckte sie
beide zu und nahm Marguerite wieder fest in seine Arme.
Sie kuschelte sich sofort wieder an ihn heran und vergrub ihren Kopf in seiner
Armbeuge. Sie hatte sich wieder ein wenig beruhigt und sogar aufgehört zu
weinen, aber sie suchte immer noch seine Nähe und seine Wärme, die er ihr
bereitwillig gab. Und er würde sie heute Nacht auch sicher nicht wieder
loslassen, das war gewiss.
***
Am nächsten Morgen ging Finn in das Zimmer von Marguerite und Roxton, um sie zu
wecken. Challenger war schon wach und wartete schon im großen Besprechungssaal,
in dem gleich die Konferenz abgehalten werden sollte. Veronica gesellte sich
schon mal zu ihm und dem Bürgermeister, während Finn Marguerite und Roxton holen
ging.
Sie klopfte sachte an die Tür und als sich nichts tat, trat sie einfach ein. Als
sie die beiden sah, so eng aneinander gekuschelt, wurde ihr die ganze Sache doch
etwas peinlich. Aber nichts desto trotz musste sie die beiden wecken, weil sie
sonst womöglich noch bis mittags weitergeschlafen hätten.
Langsam ging Finn auf das Bett zu und blieb noch kurz davor stehen. Dann
rüttelte sie Marguerite leicht an der Schulter. Als sie nicht reagierte wurde
Finn etwas grober, bis Marguerite schließlich verschlafen die Augen öffnete und
dann entsetzt in Finns Gesicht blickte.
"Einen schönen guten Morgen der Langschläferfraktion" witzelte Finn. "Wenn ihr
noch zur Versammlung wollt, müsst ihr jetzt aufstehen, in weniger als einer
halben Stunde geht's los!"
Marguerite nickte nur leicht befangen und somit trollte sich Finn wieder aus dem
Zimmer.
Als sie draußen war, rüttelte Marguerite Roxton leicht wach. Dieser gähnte erst
herzhaft und brummte etwas unverständliches. Erst als Marguerite zu härteren
Maßnahmen griff und ihn durchkitzelte, überlegte er es sich anders.
"Hör auf, ich bin ja wach, ich bin ja wach, bitte Marguerite, nein!" bettelte
er, worauf sie grinsend nachgab und mit der Kitzelei aufhörte. Stattdessen
grinste sie in sein Gesicht.
"Es freut mich wirklich, dass es dir wieder besser geht, aber dir ist schon klar
dass das Folgen hat" drohte er.
Marguerite zuckte nur mit den Schultern und stand auf. Sie zog ihre Schuhe an
und begann sich zu waschen.
"Warum hast du mich überhaupt geweckt, was ist denn los?" fragte er und gähnte
herzhaft.
Marguerite war gerade fertig mit waschen und somit nahm sie wieder einen Stift
und ein Blatt Papier um es aufzuschreiben. Es ihm mit Zeichensprache zu
erklären, darauf hatte sie nun wirklich keine Lust.
Als sie fertig war, gab sie Roxton das Blatt Papier.
`Finn war gerade hier und meinte, es wäre Zeit aufzustehen, weil die Versammlung
gleich losgeht` stand auf dem Zettel.
"Was??" rief Roxton. "Finn kommt einfach so hier rein während wir schlafen?"
Marguerite zuckte nur mit den Schultern und warf ihm seine Schuhe zu, die er
achtlos auf den Boden geworfen hatte. Das war ein eindeutiges Zeichen und Roxton
stand lieber gleich auf, bevor Marguerite noch auf den Gedanken kam, ihn wieder
durchzukitzeln.
***
Der Konferenzsaal war brechend voll. Die ganze Stadt war gekommen, und es waren
nicht wenige Menschen die in ihr wohnten.
Marguerite und Roxton kamen gerade noch rechtzeitig, bevor es losging. Sie
mussten sich durch die Menge nach vorne zu den anderen kämpfen.
Zuerst waren die Stadtbewohner sehr skeptisch gegenüber dem Vorschlag, der alten
Frau das Handwerk zu legen. Doch je weiter der Bürgermeister und Challenger die
Situation erklärten, desto mehr Leute ließen sich davon mitreißen. Am Schluss
waren zehn Männer ausgewählt, die mitkommen sollten. Alle hatten sie ihre Stimme
verloren und waren fest entschlossen, sie wiederzubekommen.
Eine halbe Stunde nach der Versammlung brachen die fünf Abenteurer mit den zehn
Männern aus der Stadt auf. Es war ein weiter Weg bis hinauf in die Berge, wo die
alte Frau der Legende nach leben sollte. Alle hatten dicke Fellmäntel dabei,
denn weit oben in den Bergen lag sogar Schnee.
"Also ich würde niemals freiwillig in so eine karge Gegend ziehen" meinte Finn,
als sie die Schneegrenze erreicht hatten. "Das ist ja der unwirtlichste Ort den
ich je gesehen hab."
"Das wollte die Hexe ja anscheinend auch so" vermutete Challenger. "Hier oben
kommt eigentlich nie eine Menschenseele her. Das ist der perfekte Ort für sie."
Plötzlich, wie aus dem Nichts tauchte wieder die Hütte auf, die Marguerite und
Finn gesehen hatten. Marguerite war überrascht und erfreut zugleich und rannte
schnell auf die Hütte zu. Selbst John konnte sie nicht zurückhalten, sie rannte
blitzschnell hinein und hinter ihr schloss sich die Tür wieder.
Man hörte von drinnen eine laute kreischende Stimme, die von der Alten stammen
musste. Dann, urplötzlich, löste sich die Hütte wieder auf und Marguerite stand
wieder inmitten von Bäumen und Schnee da. Sie wirkte gekränkt und frustriert,
trat mit dem Stiefel so fest gegen einen Baum, dass sich eine Ladung Schnee
löste und auf sie hinabfiel.
Roxton war gleich bei ihr und versuchte sie zu beruhigen, was gar nicht so
einfach war. Sie war immer noch sehr aufgebracht. Er half ihr, den Schnee von
sich herunterzuwischen und nahm sie fest in seine Arme.
"Wenn das mal nicht die Hütte war, mit der die Alte herumreist" stellte
Challenger fest und die zehn Männer nickten alle zustimmend. Auch sie hatten
alle diese Hütte schon einmal gesehen. Finn bestätigte schließlich Challengers
Feststellung.
"Ja richtig, genau das war die Hütte" meinte sie und sah Marguerite an, die sich
wieder etwas beruhigt hatte, aber immer noch tief enttäuscht war, dass sie ihre
Stimme noch nicht wieder hatte.
"Hast du die Flaschen mit den Stimmen gesehen Marguerite? Bist du in dieses eine
Nebenzimmer gelaufen?" wollte sie wissen.
Marguerite nickte frustriert. Die Flaschen mussten wirklich greifbar nahe
gewesen sein und die Alte hatte sich wahrscheinlich in allerletzter Sekunde
weggezaubert.
"So ein Mist, jetzt müssen wir auch noch doppelt aufpassen" seufzte Veronica.
"Ja die Hexe weiß ja nun dass wir hinter ihr her sind und wer weiß was sie alles
im Ärmel hat, um uns loszuwerden!" meinte Challenger. "Also achtet auf jeden
Schritt den ihr macht. Weiter geht's!"
***
Roxton ließ Marguerites Hand erst einmal nicht mehr los. Zum einen, weil sie
immer noch sehr aufgebracht und niedergeschlagen war, und zum anderen, weil er
verhindern wollte, dass sie noch einmal so einen Fehler beging wie eben.
Aber Marguerite war auch froh darüber, dass er bei ihr blieb und sie beschützte.
Und auch dass er sie davor bewahrte, dass sie wieder so gedankenlos handelte.
Eigentlich wollte sie ja gar nicht in diese Hütte stürmen. Sie dachte in diesem
Moment einfach nicht darüber nach, welche Folgen das für ihre Freunde und sie
selbst haben konnte. Die Hexe wusste nun, dass sie verfolgt wurde und war
doppelt wachsam, vielleicht versuchte sie ja auch, sie loszuwerden. Vielleicht
schwebten sie alle in höchster Gefahr. Und das alles ihretwegen!
Marguerite fühlte sich so schuldig und hätte sich am liebsten irgendwohin
verkrochen.
Die Abenteurer und die Männer aus der Stadt marschierten eine zeitlang weiter,
ohne dass etwas aufregendes passierte. Mit der Zeit fühlten sie sich etwas
sicherer und glaubten schon, die Hexe hätte sie vergessen.
Aber dem war nicht so, denn im verschneiten Gebüsch lauerte bereits eine Gefahr,
von der die Freunde noch gar nichts ahnten...
***
Die alte Frau stand mit einem zufriedenen Grinsen vor ihrer Glaskugel und sah
hinein.
"Sehr schön mein kleiner" kicherte sie. "Bring mir die Frau mit den schwarzen
Haaren, die weiß einfach zu viel!"
Sie strich noch einmal mit ihren runzligen Händen über die Kugel. "Los jetzt,
und beeil dich ein bisschen!"
Im Gebüsch gab ein haariges, großes Wesen einen grunzenden Laut von sich. Es
hatte verstanden. Die Aufgabe war klar.
Roxton horchte alarmiert auf.
"Was war das?" fragte er und zückte sein Gewehr.
"Was?" wollte Challenger wissen und sah sich ebenfalls um. "Ich hab wirklich
nichts gehört!"
"Ich könnte schwören dass da was war" verteidigte sich Roxton, packte aber sein
Gewehr wieder weg. "Komisch..."
Marguerite schüttelte nur leicht den Kopf und ging schon ein paar Schritte
voraus. Ihr wurde langsam kalt und das Gerede ihrer Freunde über ihre verlorene
Stimme konnte sie auch schon nicht mehr hören.
Urplötzlich kam aus dem Gebüsch ein riesiges Urviech herausgeprescht. Mit einem
wütenden Brüllen schnappte es sich Marguerite und verschwand gleich wieder in
dem dichten, schneebedeckten Gebüsch.
"Marguerite!" rief Roxton entsetzt und lief hinter dem Vieh her, doch es war
viel schneller und bald musste Roxton seine Verfolgung aufgeben.
"Das darf doch alles nicht wahr sein was tun wir jetzt?" fragte er verzweifelt.
Er wollte gar nicht dran denken, was dieses Vieh mit Marguerite machen würde.
"Nur mit der Ruhe" meinte Challenger und legte eine Hand auf Roxtons Schulter.
"Wir finden sie schon wieder."
"Ich will wetten, die Hexe steckt dahinter" grollte Finn.
"Ja aber warum sollte sie Marguerite entführen wollen?" fragte Roxton.
"Na sie ist hinter den gesammelten Stimmen her...worunter auch ihre eigene ist" schlussfolgerte Finn.
"Das sind wir anderen aber auch" gab Roxton zu bedenken.
"Vielleicht weiß Marguerite zuviel über die Alte und die Hütte" meinte Finn.
"Oder sie entführt uns andere auch noch" schaltete sich Challenger ein.
Er schaute zu den zehn Männern aus der Stadt hinüber die mit halb entsetzten,
halb ängstlichen Gesichtern dastanden.
"Wir werden es schaffen, wenn wir alle gut aufpassen und zusammenhalten"
versuchte er, sie wieder mit auf seine Seite zu ziehen. Langsam nickten die
Männer und schließlich brachen alle wieder auf.
"Wir finden Marguerite schon" sagte Veronica zu Roxton und legte ihre Hand auf
seine Schulter. "Außerdem kann sie sich sehr gut zur Wehr setzen - auch ohne
ihre Stimme!"
***
Marguerite hätte laut geschrieen, wenn sie nur gekonnt hätte. Das Urvieh rannte
urplötzlich auf sie zu und packte sie grob an der Hüfte, schleifte sie mit durch
den verschneiten Wald. Es war sehr schnell und hängte Roxton bald ab, der
verzweifelt versuchte, hinter ihm herzulaufen und sie zu befreien.
Sie versuchte immer wieder verzweifelt, sich loszureißen, doch das Vieh war viel
zu stark. Es bemerkte Marguerites Befreiungsversuchte gar nicht, sondern lief
zielstrebig immer weiter, bis sie schließlich vor einer Hütte haltmachten...DIE
HÜTTE!!!
Nun wusste Marguerite sofort, wer dahinter steckte! Die alte Frau hatte dieses
Biest losgelassen, um sie zu entführen. Aber warum?
Plötzlich flog die Tür auf und wie vermutet trat tatsächlich die Alte heraus und
grinste breit.
"Bravo mein kleiner, ich bin ja so stolz auf dich!" lobte sie das Vieh, das
zufrieden grunzte. "Los bring sie rein!" befahl die Hexe und das Vieh tat, was
ihm befohlen war. Es brachte Marguerite in die Hütte, jedoch wurde sie im
Hauptraum an einen Stuhl gefesselt, nicht in dem Nebenraum mit den Fläschchen.
"Das hast du nun von deiner Schnüffelei, Mädchen" meinte die Alte an Marguerite
gewandt, nachdem sie das Urvieh vor die Tür gestellt hatte, als Wachposten.
"Aber das werden deine Freunde auch noch selber mitbekommen."
Marguerite sah sie nur verständnislos an. Die alte grinste und setzte sich
ebenfalls auf einen Stuhl.
"Sie werden ihre Stimmen genauso verlieren wie du, dafür werde ich schon sorgen.
Sie verfolgen sicher die Spur des Pyrtas, so heißt das Wesen, das dich zu mir
gebracht hat. Einen nach dem anderen werde ich dann ebenfalls entführen lassen
und wenn ich alle Stimmen habe muss ich euch wohl töten."
Marguerite bekam einen entsetzten Gesichtsausdruck.
"Oh keine Angst, es wird nicht weh tun, doch ich muss sicher gehen, dass ihr
mich nicht noch einmal stört. Es war ein Fehler hierher zu kommen. Na, aber es
ist ja noch ein wenig Zeit, und ich möchte noch etwas spielen. Machs dir nur
gemütlich hier, Schätzchen. Ich gehe mal ins Nebenzimmer und sehe nach, was
meine Stimmen machen!"
Fröhlich summend verließ die Alte den Raum und ließ Marguerite allein. Diese war
sichtlich entsetzt über die Absichten der alten Hexe. Sie war wohl wirklich so
böse, wie der Bürgermeister erzählt hatte.
Wenn sie doch nur die anderen warnen könnte! Aber das schien unmöglich, sie
konnte nur mit ansehen, wie die Alte einen nach dem anderen entführen und
ebenfalls die Stimme stehlen würde.
***
"Roxton jetzt beruhig dich doch mal wieder" redete Veronica auf ihn ein.
"Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich nicht mal weiß, ob Marguerite noch lebt!" rief er verzweifelt.
"Wir werden sie finden, und zwar lebend" meinte Challenger eindringlich.
Roxton seufzte und ließ die Schultern hängen.
"Tut mir leid, ich mach mir nur schreckliche Sorgen um sie" meinte er und fuhr
sich mit der Hand über die Augen. "Ich werde noch wahnsinnig, wenn ich nicht
bald weiß, was mit ihr passiert ist!"
"Wir anderen machen uns auch alle Sorgen um Marguerite, aber jetzt blind einfach
loszulaufen, vor allem in deinem Zustand wäre reiner Selbstmord! Das Vieh könnte
wieder auftauchen!" meinte Challenger. "Du beruhigst dich jetzt erst ein wenig
und dann sehen wir weiter!"
"Ja vielleicht hast du recht Challenger" gab Roxton nach und lehnte sich an
einen Baum. Ihm war zum Weinen zumute.
"Wir finden sie schon Roxton" versuchte Finn, ihn aufzumuntern. "Ich bin sicher
die Alte steckt dahinter und will uns nun zu sich locken, weil sie Marguerite
hat...na ja das hoffe ich zumindest!"
"Nun gut. Tun wir ihr den Gefallen. Geht's dir wieder besser Roxton?" fragte
Veronica.
"Ja, ich bin wieder voll da" meinte er gefasst und so stiefelten alle wieder
los, immer der Spur des Urviechs hinterher.
***
Die Alte war mittlerweile wieder ins Vorzimmer zu Marguerite gekommen. Sie hielt
eine leere Flasche parat.
"In diese Flasche kommt die nächste Stimme" verkündete sie. "Und zwar die von
deiner kleinen blonden Freundin. Die hatte ja damals nichts trinken wollen. Aber
nun kann sie sich nicht mehr rausreden, hihi!"
Marguerite sah die Alte verständnislos an.
"Ach du denkst ich kann mir die Stimmen nur holen, wenn einer aus der Flasche
trinkt? Falsch gedacht! Ich kann sie mir auch so holen, aber das warte erst noch
mal ab. Wirst du dann schon sehen. Hey Kleiner komm mal rein!" rief sie und im
nächsten Moment kam das Urvieh von vorhin ins Zimmer.
"Schau mal mein Süßer siehst du dieses Mädchen?" fragte sie und holte die
Zauberkugel. In ihr formte sich ein Bild von Finn. "Bring sie mir lebend und du
kriegst eine tolle Belohnung!"
Das Vieh grunzte vor Freude und war in Windeseile wieder verschwunden, um seinen
Auftrag auszuführen.
"Pass auf, bald bist du nicht mehr allein hier!" versprach die Alte und verließ wieder das Zimmer.
Marguerite war geschockt. Finn sollte als nächstes entführt werden, und die Alte
würde auch ihre Stimme rauben. Wenn sie die anderen doch nur warnen könnte!
Aber das ging nicht. Sie saßen in der Falle und Marguerite konnte nur zuschauen,
wie sie ins Verderben stürzten!
***
"Also mir wird langsam aber sicher kalt" meinte Finn, die unter ihrem Mantel
nichts weiter trug als ihr kurzes Outfit.
"Ja aber wir müssen trotzdem weiter" meinte Roxton.
Finn nickte nur und stapfte weiter durch den hohen Schnee. Sie lief rechts außen
bei der Gruppe. Gedankenverloren starrte sie auf ihre Stiefel hinunter, die
immer wieder im Schnee versanken, jedes Mal wenn sie einen Schritt machte.
Auch dieses Mal war das Vieh sehr leise und nicht zu hören. Es schlich auf
leisen Sohlen durch den Schnee und erst als es nahe genug an Finn dran war,
stieß es zu und rannte wie der Blitz los.
Finn war im ersten Moment völlig überrumpelt. Erst als das Vieh sie geschnappt
und schon ein paar Meter weiter gelaufen war, schrie sie wie am Spieß los.
"Hilfeee!" rief sie, doch die anderen konnten ihr nicht helfen.
Roxton zog zwar sein Gewehr und schoss ein paar Mal, doch das machte dem Ungetüm
nichts aus.
"Verdammt!" fluchte er laut. "Was ist das nur für ein Ding?"
"Keine Ahnung, aber es kommt von einer Magierin, da weiß man das nie so genau" gab Challenger zur Antwort.
"Du bist dir also sicher, dass die alte Hexe dahintersteckt?" fragte Veronica.
Plötzlich kam einer der Männer aus der Stadt dazwischen und nickte mit dem Kopf.
"Ihr seid euch ziemlich sicher, dass die Alte das war ja?" fragte er in die
Runde. Alle nickten ernst.
"Gut. Dann folgen wir weiter den Spuren. Hoffen wir nur, dass sich die Alte
nicht wieder von einem Ort zum anderen zaubert, weil sonst werden wir sie nie
finden!" seufzte Challenger.
***
Finn war nicht sehr überrascht, dass sie schon bald an der Hütte der Alten
ankamen. Sie hatte sich schon gedacht, dass sie dahinter steckte. Auch dass
Marguerite im Innern auf einem Stuhl gefesselt saß, hatte sie sich schon denken
können.
Das Vieh grunzte wie wild und band Finn genauso wie Marguerite an einen Stuhl.
Die Alte kam schon im nächsten Moment herein und freute sich überschwänglich.
"Ohhh das hast du fein gemacht mein kleiner Freund!" jubelte sie. "Warte, ich
hol dir schnell deine Belohnung!"
Vor Freude grunzte das Vieh nur noch mehr, als die Alte kurze Zeit später mit
einem Ferkel auf dem Arm wiederkam.
"Hier lass es dir schmecken!" rief sie fröhlich und warf ihm das quiekende
Bündel zu. "Aber geh raus, ich will hier drinnen keine Sauerei haben ja?"
Das Vieh grunzte noch einmal genüsslich und verschwand mit dem zappelnden Ferkel
nach draußen. Durch die geschlossene Tür hörte man noch die letzten kläglichen
Quiekgeräusche des Schweinchens, bis sie schließlich verstummten und nur noch
das Schmatzen des Viehs zu hören war.
"Der ist wirklich wie ein kleines Kind" sagte die alte und schüttelte den Kopf.
"Aber nun zu euch beiden süßen!"
"Was hast du vor du verrückte Kuh" rief Finn außer sich. Ihr ging die Sache mit
dem Schweinchen sehr nahe, und sie hoffte, dass sie und Marguerite nicht die
nächste Speise auf der Menüfolge für das Vieh waren. Marguerite sah Finn
entsetzt von der Seite an, es war sicher nicht sehr klug, die Alte so
anzuschreien.
"Werd mal nicht frech, du Göre" sagte die Alte nun etwas härter. Ihre gute Laune
verabschiedete sich langsam. "Ich würde keine so dicke Lippe riskieren, sonst
passiert dir noch was...oh und ich habe schon eine Idee, wie ich verhindere,
dass du mir blöd hinterher maulst!" kicherte sie und holte die leere Flasche
wieder zum Vorschein.
"Ich werde nichts trinken, nie im Leben!" wehrte sich Finn. "Der Trick zieht bei
mir nicht!"
"Musst du ja auch gar nicht, Dummerchen!" kicherte die Alte weiter. "Es ist ja
auch gar kein Wasser drin! Aber pass nur auf!"
Sie entkorkte die Flasche und schaute mit einem Auge prüfend durch den
Flaschenhals hinein. "Jaaa...sieht gut aus...dort drin wird sich deine Stimme
sicher sehr wohl fühlen!"
"Nein" rief Finn aus, doch die Alte kicherte nur immer weiter.
Dann ging sie plötzlich auf Finn zu und legte ihre verrunzelte Hand auf ihren
Brustkorb. Finn spürte plötzlich, wie es ganz warm in ihrer Brust wurde. Panisch
versuchte sie, sich zu wehren, aber sie war wie gelähmt und konnte nichts tun.
Auf einmal öffnete sich ihr Mund, wie von allein und heraus kam eine bläuliche
Kugel, die im Raum herumschwebte. Als die Alte mit der Flasche nah genug an die
Kugel kam, verschwand die Kugel ganz von selbst darin. Schnell steckte die Alte
den Korken wieder auf die Flasche und grinste triumphierend.
"Sooo noch eine Stimme für meine Sammlung! Juhuuu!" jubelte sie und brachte
ihren Schatz in den Nebenraum zu den anderen Flaschen.
Finn war wie versteinert. Sie hatte immer noch nicht ganz begriffen, was dort
mit ihr geschehen war. Als sie wieder einigermaßen bei Sinnen war, drehte sie
den Kopf leicht zu Marguerite herum.
Diese sah genauso entsetzt aus. Ungläubig starrten sich die beiden Frauen an.
Im nächsten Moment kam auch schon wieder die Alte ins Zimmer.
"Oh ihr seht ja aus wie sieben Tage Regenwetter...so was! Wärt ihr mal nur nicht
so frech gewesen, mir hinterher zu spionieren! Das kommt davon! Aber bevor ihr
dafür bezahlt, muss ich noch ein paar Stimmen einsammeln...und euch ein wenig
Gesellschaft bescheren. Ihr wollt doch sicher alle gemeinsam sterben oder?"
fragte die Alte mitleidig und begann wieder zu kichern. "Hey kleiner, es gibt
wieder Arbeit für dich!" rief sie und schon kam das Urvieh wieder ins Zimmer. "Hm...wen
holen wir wohl als nächstes? Ich denke es wird mal Zeit für etwas Männliches!
Wen nehmen wir denn? Schönheit oder Wissenschaft? Ehrlich gesagt, der
Wissenschaftler interessiert mich mehr...hier, bring mir den!" befahl die Alte
und zeigte dem Vieh das Bild von Challenger in ihrer Zauberkugel.
Das Vieh grunzte wieder und war schnell wie der Blitz verschwunden.
***
"Oje, ich glaube ich muss mal ganz dringend austreten" meinte Challenger
entschuldigend. "Bin gleich wieder da!"
Er machte sich schon auf den Weg in die Büsche, als Roxton ihn zurückhielt.
"Warte ich komme mit, vielleicht wartet diese Bestie irgendwo da drin!" gab er
zu bedenken.
"Ach wo!" stritt Challenger ab. "Ich gehe ja nicht zu weit rein. Außerdem werde
ich bestimmt nicht zulassen, dass du mir dabei zusiehst!"
"Sturer Bock" murmelte Roxton hinter ihm her, aber Challenger hörte dies Gott
sei Dank nicht. "Mir ist wirklich nicht wohl bei der Sache Veronica!"
"Mir ebenso wenig, aber du kennst doch George, ihn umzustimmen ist ein Ding der
Unmöglichkeit!" gab sie mit einem großen Grinsen zu bedenken.
Auf einmal hörte man einen lauten Schrei. Und dieser stammte 100%ig von
Challenger!
"Verdammt dieser alte Dickschädel!" rief Roxton wütend und raste los ins
Gebüsch, gefolgt von Veronica und den anderen Männern aus der Stadt.
Sie mussten nicht lange suchen, bis sie Challengers Hut fanden.
"Jetzt er also auch noch!" sagte Veronica deprimiert. "Also langsam wird mir die
Sache unheimlich!"
"Verdammt noch mal!" schimpfte Roxton und trat wütend gegen einen Baumstamm.
"Ich hab ihm gesagt, er soll nicht allein gehen!"
"Sich Vorwürfe zu machen bringt absolut nichts Roxton" sagte Veronica streng.
"Wir dürfen jetzt nur keine Zeit verlieren, ich hab das Gefühl wir sind ganz nah
dran!"
"Ja scheint mir auch so" bestätigte Roxton, der sich wieder etwas beruhigt
hatte. "Aber sag mal fällt euch was auf?"
Veronica und die Männer zuckten mit den Schultern.
"Na überlegt doch mal!" forderte Roxton auf. "Sie lässt nur uns entführen, nie
die Männer aus der Stadt!"
"Stimmt, jetzt wo du es sagst...oh Gott, meinst du, sie will unsere Stimmen auch
noch?" fragte Veronica.
"Glaube ich schon" grollte Roxton.
"Aber eine Frage hab ich da schon noch. Warum Marguerite? Sie hatte ihre Stimme
doch schon verloren!"
"Das weiß ich auch nicht Veronica" seufzte Roxton. "Aber glaub mir, die selbe
Frage hab ich mir auch schon mehrfach gestellt!"
***
Challenger wurde von dem Urvieh dermaßen durchgeschüttelt, dass er fast
ohnmächtig wurde. Erst als nach kurzer Zeit die Hütte zu sehen war, verlangsamte
es sein Tempo ein wenig. Es stürmte durch die Tür und pfefferte Challenger auf
einen noch freien Stuhl, um ihn dort anzubinden.
Finn und Marguerite starrten gebannt auf Challenger, sie konnten sich ja leider
nicht mit ihm verständigen. Erst als dieser wieder etwas klar im Kopf war und
das Schwindelgefühl nachgelassen hatte, registrierte er die beiden Frauen.
"Finn! Marguerite! Ihr seid auch da!" rief er, während das Vieh ihn unsanft
fesselte.
Beide Frauen nickten niedergeschlagen.
"Finn! Deine Stimme! Hat man sie dir auch gestohlen?" fragte er aufgeregt.
"Gestohlen ist vielleicht der falsche Ausdruck!" schaltete sich eine andere
Stimme ein. Es war die der Alten, die unbemerkt ins Zimmer kam.
"Ich habe mir nur etwas geholt, um mich ein wenig über meine schlimme
Vergangenheit hinwegzutrösten und mich dafür zu rächen!" meinte sie weiter.
"Aber wir können doch gar nichts für Eure Vergangenheit! Diejenigen, die etwas
dafür können, sind sicher alle schon tot!" beharrte Challenger.
Die Alte gab einen verächtlichen Laut von sich.
"Pah!" rief sie. "Um den Schmerz, den ich erlitten habe, wieder auszugleichen,
muss ich die nächsten tausend Jahre noch Stimmen sammeln! Ihr habt ja keine
Ahnung, wie es ist, dauernd ausgelacht und für unfähig gehalten zu werden! Ich
werds euch allen zeigen! Und wer sich einmischt muss auch bezahlen - mit dem
Leben!"
"Ihr wollt uns töten?" fragte Challenger verdutzt.
"Ja, aber erst wenn ich alle eure Stimmen habe! Die anderen Trottel aus der
Stadt werden dann von selber wieder die Biege machen. Die haben zuviel Angst!"
kicherte sie. "Aber nun zu dir, Wissenschaftler! Ich bin mal gespannt, wie dir
das hier gefallen wird!"
Sie zog eine weitere, leere Flasche hervor und entkorkte sie. Dann prüfte sie
mit einem Auge die Innenseite der Flasche und nickte wieder zufrieden.
"Alles ok, es kann losgehen!" sagte sie erfreut.
Challenger saß nur mit offenem Mund da. Er konnte ja noch nicht ahnen, was
gleich mit ihm passieren würde.
Wie bei Finn auch legte die Alte ihre Hand auf Challengers Brustkorb und genau
wie bei Finn kam auch aus seinem Mund eine bläuliche Kugel heraus, die die Alte
mit ihrer Flasche fing.
"Ja! Noch ein Exemplar für meine Sammlung" jubelte sie und eilte in den
Nebenraum, um für die neue Flasche ein schönes Plätzchen auszusuchen.
Challenger konnte es einfach nicht fassen. Er versuchte, zu reden, brachte aber
kein Wörtchen heraus. Verzweifelt sah er Finn und Marguerite an. Aber die saßen
nur mit miesgelauntem Gesicht da und Finn zuckte mit den Schultern.
Wenig später kam die Alte wieder.
"So, da es gerade so gut läuft werde ich die nächste Person holen!" freute sie
sich. "Hm...wer ist leichter zu entführen? Der Mann oder das Mädchen? Hm,
schwierig zu sagen! Ich weiß! Ich werde auszählen!"
Die Alte schloss kurz die Augen und summte etwas vor sich hin. Dann riss sie
ihre Augen schlagartig wieder auf und rief: "Das Mädchen! Die Wahl ist gefallen!
Wo ist meine Zauberkugel?"
Sie fand sie in einer Ecke und rief sofort nach dem Vieh.
"Oh mein Kleiner, du hast ja noch gar keine Belohnung für den da gekriegt"
meinte sie mitfühlend, während sie auf Challenger deutete. "Warte kurz!"
Sie lief hinaus und kehrte mit einem größeren Schweinchen, wie das bei Finn,
wieder zurück.
"Schau her, wenn du mir die blonde Kleine bringst, dann kriegst du nächstes Mal
noch ein größeres! Aber nun los!" rief sie und warf dem Vieh das Schwein vor die
Füße. Es grunzte voller Freude, schnappte sich den Leckerbissen und verschwand,
um seinen Auftrag auszuführen.
***
Roxton, Veronica und die Männer waren vorsichtiger geworden. Sie blieben dicht
zusammen, horchten auf jedes verräterische Knacksen und waren zu allem bereit.
Und das sollte sich auch bald bezahlt machen.
Das Vieh war diesmal nicht sehr aufmerksam. Es war ziemlich siegessicher, da es
die anderen drei ja leicht und locker entführt hatte. Es hielt die Menschen für
dumm. Und das war sein Fehler.
Roxton hörte etwas verdächtiges und bedeutete den anderen, still zu sein und
langsam weiter zu laufen. Er wollte so tun, als ob sie es nicht gehört hätten,
dabei wusste er ganz genau, wer da im Unterholz lauerte.
Bereit für alles hielt er sein Gewehr am Anschlag und drehte sich blitzschnell
um, als das Vieh angriff. Es wollte Veronica, das war sofort klar. Er stellte
sich schnell vor sie und drückte immer wieder ab, bis das Vieh sich grunzend am
Boden wand.
Nun überließ er es den Männern aus der Stadt, die mit ihren Äxten den Rest
erledigten.
"So das wäre geschafft, ich dachte echt nicht dass es so leicht sein würde, das
Ding zu erledigen!" meinte Veronica mit Genugtuung.
"Es muss uns für ziemlich blöd und unachtsam gehalten haben. Es war überhaupt
nicht vorsichtig. Tja...Pech gehabt!" grinste Roxton.
Als die Männer fertig mit dem Vieh waren, schnitt Roxton ihm noch einen Stoßzahn
heraus, um ihn der Alten zu präsentieren, damit sie auch glaubte, dass das Vieh
tot war.
Dann machten sie sich auf den Weg, weiter den Spuren hinterher. Und tatsächlich
kamen sie bald an der Hütte an.
***
|