"Ich bitte dich Marguerite! Wie oft haben wir zwei schon über diese Antwort
geredet. Ich bin nicht blind- ich bin nicht blöd verdammt noch mal!"
"Gut, dann sollte deine geistige Cleverness dir jetzt raten mich mit diesem
Schwachsinn in Ruhe zu lassen!"
Marguerite schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und blickt zu Boden.
"Ich brauche frische Luft"
Roxton sah Marguerite nach wie sie ihren Hut und ihr Gewehr mit roher Gewalt vom
Haken zerrte und in den Aufzug stieg.
Roxton war enttäuscht. Wie oft hatte er schon versucht diesem augenscheinlichen
Eisklotz ein Fünkchen Seele zu entlocken. Wie oft hatte er, wenn sie es nicht
merkte, diesen Ausdruck ihren Augen gesehen der sie so verdammt verletzlich
aussehen ließ. Und wie oft hatte er sie schon wissen lassen dass er sich um sie
sorgte- und jedesmal die gleiche Antwort bekommen.
"Mir geht's gut..."
"Es ist nichts..."
"Kümmere dich um deinen eigenen Kram..."
"Marguerite ich bin nicht blind verdammt noch mal!"
Es war wirklich so. Er hatte jetzt lange genug mit ihr auf engstem Raum
zusammengelebt um diese winzigen Anzeichen von Kummer, Furcht und Einsamkeit in
ihren Augen, in ihrer Stimme und in ihren Bewegungen entdecken zu können. Er
musste zugeben dass sie eine hervorragende Schauspielerin war, und er würde
seine Hand dafür ins Feuer legen, dass die anderen noch nichts davon bemerkt
hatten, aber er hatte sie beobachtet. Er war derjenige dem sie sich auch schon
ein paar mal anvertraut hatte, und der zugeben musste dass es ihn selbst
verletzte sie in diesem Zustand zu sehen. Und seit sie in der Höhle unter dem
Einfluß dieses Pilzes halluziniert hatten, schien ihr wahres, verletztes Ich
immer öfter durch ihre so mühsam aufrechte erhaltene Fassade durchzuscheinen.
Auch wenn er wütend war dass sie ihn so offensichtlich hatte abblitzen lassen-
er hatte diesen Ausdruck wieder gesehen und hatte nicht vor sie in ihrem Kummer
allein zu lassen.
Entschlossen nahm auch er sein Gewehr und folgte ihr.
Als er sie vor dem Zaun wie ein gehetztes Tier auf- und abschreiten sah wußte er
dass sie noch immer wütend war. Vorsichtig legte er sein Gewehr auf einen
naheliegenden Tisch und trat näher an sie heran.
"Marguerite, ich..."
Mit einer unwilligen Handbewegung gab sie ihm zu verstehen dass sie nicht bereit
war mit ihm weiter zu diskutieren. Roxton ließ sich jedoch nicht davon beirren
und fuhr fort.
"... wollte mich entschuldigen. Es war nicht meine Absicht dir zu nahe zu
treten, es ist nur... ich kann es einfach nicht ertragen dich so zu sehen und
nicht wenigstens zu versuchen zu verstehen was dich bedrückt."
Marguerite wirbelte herum und starrte ihm unverhohlen ins Gesicht.
"Ihr Männer habt immer so plumpe Methoden sich an Frauen heran zu machen."
"Ich wollte mich nicht...oh Marguerite, warum kannst du dir nie helfen lassen
wenn du es nötig hast?!"
"Warum redest du ständig auf mich ein wenn ich es viel nötiger gehabt hätte in
Ruhe gelassen zu werden? Ich komme sehr gut auch allein zurecht. So war es immer
und es hat immer ganz gut funktioniert."
"So muss es aber nicht immer sein. Manchmal braucht man jemand anderes um mit
Problemen fertig zu werden, wie zum Beispiel den Vorfall in der Höhle."
Der letzte Satz war ihm einfach so heraus gerutscht, er hatte dieses Thema
eigentlich nicht ansprechen wollen.
Marguerites Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
"Was hat diese verdammte Höhle damit zu tun?" zischte sie.
Roxton stand ihr inzwischen direkt gegenüber und sah wie Tränen in ihren Augen
aufwallten. Er hatte also genau ins Schwarze getroffen.
Marguerite ballte die Fäuste und wandte ihren Kopf um irgendeinen Punkt hinter
ihm zu fixieren.
"Ich weiß nicht was dir in dieser Höhle passiert ist, aber was ich weiß ist,
dass du seitdem..."
"Hör auf damit!" schrie sie. "Du hast kein Recht dazu mich..."
"Marguerite hör mir zu. Du kannst mir vertrauen..."
"Wie kann ich dir vertrauen?" ihre Worte überschlugen sich fast und sprudelten
ihm wie außer Kontrolle geratene Wasserströme entgegen. "Es geht dich doch
wirklich gar nichts an was ich in der Höhle erlebt habe. Und es ist meine,
absolut meine Sache in welcher Stimmung ich mich befinde oder nicht. Hör auf
damit so zu tun als würde dich meine Verfassung interessieren!"
"Marguerite, beruhige dich!"
"Ich werde mich nicht beruhigen, nicht bevor du..."
Marguerite war nun völlig außer Fassung und ihr Tränen flossen unkontrolliert
über. Unter Schluchzen stoppte ihr Redeschwall. Dafür hob sie nun ihre Fäuste
und wirbelte damit Richtung Roxton. Dieser wich zunächst aus, dann fing er ihre
Fäuste und versuchte sie wie zwei gefangene Vögel unter Kontrolle zu halten.
Marguerite war stark und sie wand sich unter ihm, dass er es einfach unmöglich
fand sie unter Kontrolle zu halten.
Kurz entschlossen zog er sie zu sich und schlang beide Arme um ihren
rebellierenden Körper.
Beruhigende Worte flüsternd, strich er ihr mit einer Hand über den Rücken und
hielt sie mit der anderen dicht an sich gepresst. Ihr ganzer Körper bebte und er
fühlte wie ihr tauber Schmerz tief in ihm nagte. Schluchzend löste sie
schließlich ihre Arme aus ihrer krampfhaften Versteifung und hielt sich an
Roxtons Hemd geklammert fest. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und zum
ersten mal seit vielen Jahren erlaubte sie sich um ihres eigenen Willen zu
weinen.
Roxton war geschockt von der Machtlosigkeit mit welcher sie den Erinnerungen an
die Höhle ausgeliefert war. Was immer es gewesen war was sie erlebt hatte, es
war offensichtlich etwas schwer zu verarbeitendes für sie.
Er wollte ihr zeigen dass sie nicht alleine damit war, und dass sie auf ihn
zählen konnte was auch immer passieren würde.
Als sie die anderen von weitem kommen hörten löste ich Marguerite von ihm und
wischte sich hastig die Tränen von den Wangen.
"Sag den anderen nichts bitte." flüsterte sie und verschwand Richtung Baumhaus.
"Natürlich." sagte er obwohl sie ihn längst nicht mehr hören konnte.
Er nahm sein Gewehr und folgte ihr langsam. Er wußte dass sie ihre
undurchsichtigen Mauern wieder aufrichten würde, aber wußte auch das dies ein
sehr kostbarer Augenblick gewesen was. Und er würde wieder kommen.
El fin
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